Sonntag, 7. August 2016

KRIEG GEGEN DIE ANDERSGLÄUBIGEN

Szenenfoto aus der Verfilmung "Das Falsche Herz"

Wie eine katholische Sekte im 19. Jahrhundert alle Ungläubigen vernichten wollte und was wir heute daraus lernen können.

Es wird viel vom islamistischen Terrorismus geredet und gleichzeitig so getan, als hätten wir die Weltoffenheit in Europa erfunden. Papst Franziskus hat kürzlich davon gesprochen, dass jede Weltreligion extreme Strömungen in sich berge. Die heute größtenteils in Vergessenheit geratene Sekte der Pöschlianer war so eine fundamentalistische, christliche Bewegung. Sie hielt vor etwa zweihundert Jahren Oberösterreich und größere Teile von Deutschland in Schach und musste an ihrem Herkunftsort, einem kleinen Dorf im Hausruckviertel sogar mit der Nationalgarde aufgelöst werden. Wie kam es dazu, dass sich vormalig brave Katholiken (nehmen wir einmal an, dass sie brav waren), von ihrem Glauben loslösten und in eine extreme Richtung sich bewegten? Wurden sie manipuliert? Was hat man ihnen geboten, damit das Dabeisein Spaß machte?

Wie die andere ganz große Tragödie, nahm auch diese Bewegung in Braunau am Inn ihren Anfang. Dort wurde der Buchhändler Palm für ein regimekritisches Band zum Tode durch Erschießen verurteilt. Sein Beichtvater war Thomas Pöschl, ein Geistlicher mit nervösen Störungen, der nur sehr schwer die notwendigen Schritte zum Priestertum geschafft hatte. Dieser überaus phantasiebegabte Mensch konnte mit der ihm übertragenen Aufgabe nicht umgehen und verfiel immer mehr in düstere Grübeleien. Seine Predigten wurden zunehmend negativer. Irgendwann begann er nur mehr vom Strafgericht Gottes zu sprechen. Es kam wie es kommen musste, die kirchlichen Würdenträger wurden auf ihn aufmerksam und der junge Priester musste seinen Posten räumen. Ihn erwartete im abgelegenen Ampflwang eine Zwangsversetzung als Hilfspriester des dortigen Pfarrers Götz.
Seiner Phantasie entsprechend, begann er sofort Ausschau nach einer Frau zu halten, die für ihn eine Abgesandte Gottes war. Das war damals in schwärmerischen Kreisen so üblich, denn man sah den Körper der Frau stets als Gefäß des Göttlichen an. Er fand sie in der Gestalt von Magdalena Sickinger, einer Krämerswitwe, überzeugt war, Jesus Christus in ihrem Herzen hören zu können.
Was jener ihr mitteilte, passt so ganz in die psychische Verfasstheit jedweder Sekte hinein: Der Herr sprach also zu ihr, dass er alles neu machen, die Spreu vom Weizen trennen und ein großes Strafgericht einberufen würde.

Was begegnet uns hier: Eine verschwindende Minderheit von nur zwei Personen stellen Behauptungen auf, die sie nur aufgrund ihres Standes und ihres Charismas belegen können. Die Krämerswitwe und der Pfarrer, das waren damals wichtige Leute und was diese zu sagen hatten, das galt auch. Die Grundaussage mit dem Strafgericht überrascht auch nicht: Denn ohne Anmaßung funktioniert keine Sekte. Jemand muss schließlich die Spreu vom Weizen trennen, bevor der Herrgott tatsächlich erscheint. Das waren in diesem Fall Pöschl und die Sickinger.

Der Priester rief zur Selbstreinigung auf und erteilte Bußaufgaben, die sich über mehrere Jahre erstreckten. Im gemeinen Volk hatte das natürlich Auswirkungen. Schnell fanden sich Nachahmer, die andere Menschen so lange verprügelten bis sie sich übergaben, was als sicheres Zeichen für das Verschwinden des Teufels wahrgenommen wurde. Das war aber nur der erste Schritt. Wollte man sich nicht bekehren, so musste man sterben. Diese Etappe des Sektierertums erreichte die Bewegung aber erst, als Pöschl verhaftet, und ins Priestergefängnis nach Salzburg verbracht worden war.
Nachdem ihnen ihr geistiger Führer abhanden gekommen war, übernahmen die so genannten einfachen Leute das Ruder. Es wurden anhand eines kleinen Büchleins allerhand krude Verschwörungstheorien aufgestellt. Man müsse den Pfarrer umbringen, den Papst in Rom absetzen und alle Ungläubigen ausradieren. Eine große Aufgabe, aber was bekamen die Gläubigen als Dank?
Sie waren mächtig wo sie vorher schwach waren. Das galt gerade für die Frauen der Bewegung die sich als Päpstinnen feiern ließen. Niemals zuvor konnte eine einfache Magd zur Führerin des ganzen Dorfes werden. Die gesellschaftlichen Strukturen im 19. Jahrhundert hätten so etwas niemals zugelassen. Sie erhielten ihre Wirkmächtigkeit von Gott allein und das machte sie stark, wo sie vormals wie gesagt ohnmächtig waren. Ihr Glaube, der sie zuvor gewissentlich verpflichtet hatte, Gutes zu tun und Sünden zu vermeiden, forderte sie nun auf zu kämpfen und zu vernichten.
Es kam zu zahlreichen Gewalttaten und Ritualmorden. Eine junge Frau wurde mit der Axt bis auf ihren Rumpf reduziert. Man öffnete sogar ihr Herz um nachzusehen, wer sich darin verbarg: War es der Teufel oder war es doch Jesus? 

Es klebte viel Blut an den Händen dieser Bewegung.
Die Nationalgarde musste schließlich einschreiten und dem Unwesen ein Ende bereiten. In den Gefängnissen Vöcklabruck, Wartenburg und Köppach hörte man daraufhin ein Wimmern und ein Schreien. Das Wehklagen hatte folgende Bewandtnis: Man war fest vom Ende der Welt überzeugt gewesen. Erst als sich die Tage des Weltuntergangs scheinbar endlos hinauszögerten, begannen die Ersten damit, dem Irrglauben wieder abzuschwören.

Werfen wir einen Blick auf die Vorfälle, so kommen mehrere nennenswerte Tatsachen psychologischer Natur zum Vorschein:

Ermächtigung ohne Verantwortung. Die Akteure hielten sich allesamt für rein und frei von Sünde. Dieser Umstand ermächtigte sie, sich zum Richter aufzuspielen und andere zu ermorden. Hier ist ein klarer Widerspruch zur Bibel, denn niemand war in den Augen von Jesus Christus ohne Sünde, was in der berühmten Passage mit dem Werfen des ersten Steines zu Tage tritt.

Auflösung gesellschaftlicher Hierarchien. Man war jemand, weil man Teil von etwas geworden war. Es gab so eine Art Heiligkeit durch Anwesenheit. Hier kann man eine Ähnlichkeit zu heutigen Verhältnissen feststellen, wo man als Christ jemand zu sein scheint, der man als Moslem nicht zu sein glaubt und umgekehrt. Man definiert sich selbst durch Zugehörigkeit.

Die Notwendigkeit zu richten. Obwohl es in der heiligen Schrift heißt, “Richtet nicht, auf das ihr selbst nicht gerichtet werdet.”, bekämpfte, zerschlug, ja tötete man was das Zeug hielt. Die Ermächtigung dazu bekam man von seinem Anführer und dieser hatte den Auftrag direkt von Gott übermittelt bekommen. Ein kritisches Nachfragen schien da, wie so oft, völlig irrelevant.

Das zerbröselnde Weltbild und die fortschreitende Unvernunft. Was damals nach geregelten Systemen geschah, war auf einmal über den Haufen geworfen und durch ein krudes System aus Verschwörungstheorien und Größenwahn ersetzt worden. Jene, die sonst eher auf der unteren Skala des Intelligenzniveaus angesiedelt waren, wurden auf einmal zu Wissenden. Das führte zu allerhand Aberglauben und wahnwitzige Ideen.

Arbeit tat nicht Not. Man gab sich ganz der Beschäftigung des Richtens und Betens hin. Die Kühe liefen in die Häuser oder quer über die Felder. Niemand säte oder erntete mehr, denn alle waren überzeugt davon, dass Gottes Reich ohnehin in Kürze auf die Erde kommen würde.

Diese Sekte zeigt uns genau, was heute noch allenorts geschehen kann: Erst wird erst der Glaube, dann das Gewissen und schließlich das gesellschaftliche System aus den Angeln gehoben. Wer dann immer noch den alten Zeiten angehörig ist, soll weggeschafft, mundtot gemacht oder vernichtet werden. Als Lockmittel wird stets ein Trugbild entworfen, in denen Einzelne belohnt und eine Vielzahl vernichtet werden.

Die Weltreligionen widersprechen einem solchen Vorgehen massiv. Gerade das Christentum setzt auf die Unterscheidung der Geister und auf die vorrangige Überprüfung der eigenen und nicht der fremden Fehlleistungen. Eine Selektion der Menschen im Namen Gottes und durch die Menschen selbst, hat in jeder Zeit zu verheerenden Verbrechen geführt. Dabei ist es völlig unerheblich ob dieser Götzendienst im Namen des islamischen oder des christlichen Gottes stattfindet. Er ist immer grundfalsch, weil er eine Selbstermächtigung betreibt, die so in keiner Religion vorgeschrieben ist.

Verfilmung:
Szenenfoto aus der Verfilmung "Das Falsche Herz"

Der Autor dieses Textes hat 2011 nach jahrelangen Recherchen über die Sekte der Pöschlianer einen dramatischen Historienfilm geschaffen, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt: “Das Falsche Herz” ist in Oberösterreich in der Nähe der historischen Schauplätze in der Starmovie Kinokette uraufgeführt worden. Der Film lief in mehreren Programmkinos und erlebte seine US Ptemiere beim Louisville International Festival of Film. Eine DVD (105 Minuten, Farbe, einige Extras) und ein Download des Films kann hier (und auf Amazon.de) erworben werden:

http://www.gruppefilmkunst.com/shop

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Die Bilderwelten eines kleinen Jungen

(Der Originaltext erschien auf meinem vormaligen Blog, dessen Service in Kürze eingestellt werden wird. Ich dachte, dieser Eintrag sollte für die Nachwelt erhalten bleiben.)

Du bist nur zu den Begräbnissen gekommen, Stella

Vor vielen Jahren hatte das junge SAT1 noch kein Geld für zeitgenössische Filme übrig und spielte immer Freitags mit großer Ankündigung den sogenannten FilmFilm der Woche. Irgendwann in den frühen 90igern lief dort eine Tennessee Williams Verfilmung mit dem Titel "Endstation Sehnsucht". Die wirkliche Handlung hab ich erst Jahre später verstanden, aber die Atmosphäre der schwarz/weißen Bilder hat mich ein Leben lang geprägt. Die dunklen Straßen mit den leuchtenden Reklameschildern, der schwüle Soundtrack von Alex North und schließlich jene Dame, die aus dem Dampf einer alten Lokomotive auftauchte und einen jungen Mann nach dem Weg fragte.

Wenn mich heute jemand fragt, wie ich zum Filmemachen gekommen bin, dann erzähle ich gerne aus der jeweiligen Tageslaune heraus irgend eine Lüge. In Wahrheit hat mich Vivien Leigh mit dreizehn Jahren als Blanche Dubois so beeindruckt, dass ich monatelang jeden Tag nur Endstation Sehnsucht gesehen habe. Ich kam von der Schule heim, hab den Videorecorder eingeschaltet und mir den Film angesehen. Meine Besessenheit ging so weit, dass ich auch heute noch ganze Dialogpassagen auswendig kann. Ich könnte auf Anhieb jede Einstellung in diesem Film Revue passieren lassen. Ich war so besessen von diesen Bildern, dass ich sogar mehrere Einstellungen mit Vivien Leigh abgezeichnet habe. Es liegt heute noch ein Portrait von ihr in meiner Schublade. Woher meine Besessenheit rührt weiß ich auch nach vielen Jahren nicht ganz genau. Da war einerseits diese wunderbare und wirklich kongeniale Synchronstimme, die auf Anhieb jeden Ton richtig treffen konnte und andererseits eine Frau, in einer Rolle die irgendwie jenseitig war.

Die amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael schrieb über Vivien Leigh:

"One of the rare actresses who could truly evoke pitty and terror.

Da war auf einmal eine Andersartigkeit im Film, die ich sonst noch nie erlebt hatte. Wenn das Film ist, wenn das Kunst ist, dann möchte ich das machen. Nur leider war ich keine Schauspielerin, also hab ich eben mit dem Zeichnen angefangen um zumindest ein Stück von diesem Wesen einfangen zu können. Die stärkste Szene war wohl, als die Mexikanerin mit dem Kranz aufgetaucht ist: Flowers, flowers for the dead. Viv hat die Tür geschlossen und dabei gesagt: No, not now, not now...

Ich sehe sie heute noch vor mir. Überlebensgroß und tragisch: In diesen schwarz/weißen Augen hat sich ein ganzes Universum gespiegelt.

Heute, 15 Jahre später sitzt sie immer noch manchmal an meiner Schulter und flüstert mir zu: Es ist nicht genug. Du darfst niemals ruhen, musst alles geben und kompromisslos sein.

Ja, Viv. Ich gebe mir Mühe.

Donnerstag, 10. September 2015

Filmkunst von Lumiere bis heute

Filmkunst von Lumiere bis heute - (Fehl)entwicklungen ?

Die beiden Gesichter der Filmkunst

Lumiere, Gott des Seins und Méliès, Gott des Scheins. Arbeiter verlassen die Fabrik kontra Szenen am Mond. Das Fotografische und das Zauberhafte. Griffith und der politische Film. Bilder, die Massen bewegen. Nicht nur zum Guten. Die Macht des Kinos austesten. Farbexperimente mit Tinte, die ersten 70 mm Aufnahmen. Varieté und Kunst. Japaner stehen hinter der Leinwand und sprechen Dialoge mit. Filme werden selbstbewusst, haben aber dennoch “Akte”. Abel Gance macht Splitscreen. Stroheim erfindet das moderne Kino, Sjöström den modernen Filmschauspieler.

Filmmontage Regeln

Standardisierung des visuellen Ausdrucks. Achsendogma, Eyeline Shot, Einstellungshygiene. Prinzipienfreiheit zugunsten breiter Publikumsschichten. Ein Film hat so auszusehen und nicht anders. Eisenstein kommt und stellt die Filmwelt auf den Kopf. Intellektuelle Montage, parallelisierende Montage. Montage, Montage Montage -> auch Dienstags und Mittwochs. Die Bilder werden musikalisch. Der Kontrast tanzt. Liebende laufen in Moskau los und küssen sich in London. Kuleschov und das hungernde Baby. Flaherty lässt seine Kamera von einem Inuit reparieren.

Tonfilm

Die Öffnung des Visuellen hin zum Theatralischen. Schauspieler die überdeutlich in Blumenvasen sprechen. Sprachtrainer für Stummfilmstars. Alkoholismus, Selbstmord, vollständiger Rückzug lispelnder, sprechunbegabter Schauspieler. Mimenlosigkeit. Das Piano wird aus dem Kino geschoben. Theatralischer Professionalismus. “Schauspielerhandwerk kann man nur im Theater erlernen.” — und ähnlicher Schwachsinn. “Singsang”, Musical, Operette, Shakespeare. Geburt der Plansequenz, Siegeszug des Shot- Reverse Shot Systems. Unterordnung des Bildes. Machtfaktor “Dialog”. Jedes Hollywoodstudio entwickelt eine eigene Dialogdramaturgie. Warner Brothers fasst sich kurz, hart, prägnant und zynisch. Fritz Lang lässt Mütter rufen und Luftballons an Leitungsmasten segeln. Peer Gynt und Peter Lorre. Der Versuch einer audiovisuellen Liebesheirat. Ein “M” aus Kreidestrichen. Ansonsten wenig ernst zu nehmende Tonversuche. Einteilung des Films in Form (Bilder) und Inhalt (Dialog). Daraus hervor gehen entsprechend schlechte Filme und jede Menge neuer Dogmen.

Farbfilm

Erst eine, dann zwei, dann vier Farben. 4Farbentechnicolor. Scarlett schmachtet in Rot. Maske und Licht ändern sich. Sahara Hitze im Studio. Sattes grün, sattes rot. Farbe macht das Bild linienlos. Die Fläche gewinnt Oberhand. Die Schärfe wird langsam flach. Die Einstellungen werden bunt und uninteressant. Kaum künstlerische Farbverwendung. Moulin Rouge von Huston kommt und beeindruckt mit “gedünsteten” Farben. Mizoguchi dreht sein farbiges Meisterwerk: “Shin heike mongetari”. S/W wandert in den Noir Bereich. Lauren Bacall pustet Rauch. Johnny Guitar ein Farbfilm in Schwarz/Weiß. Die Kameramänner müssen erst lernen. Menzies malt Hintergründe auf Glas. Hitchcock malt moderne Kinobilder.

Breitbild

Naiver Angriff aufs boomende Fernsehen. Das Bild hat seine Mitte verloren. Die Achsen werden immer wichtiger. Das menschliche Gesicht wird vom Hintergrund bedrängt. Die klassische Großaufnahme geht sterben. Minenspiel wird geopfert. Bye, bye Mikrophysiognomie. Überall Art Direction. Je breiter desto mehr Ausstattung. Schauspieler werden zunehmend bedeutungsloser. Das Visuelle verdrängt das Emotionale. Man kann das Pinupgirl jetzt längsseitig abbilden. Sein Gesicht kann die Leinwand dagegen nie wieder formgemäß füllen. Landschaft ja, hohe Gebäude nein. Oben und Untenstandpunkte werden schwieriger. Höhenverhältnisse können nicht mehr richtig abgebildet werden. Bei verkanteter Kamera wird man seekrank. Wagenrennen, weite Länder. Sandalen hier Soldatenstiefel dort. Das russische Kino komponiert meisterhaft breit. Peter O’Toole zündet ein Streichholz an und Millionen jubeln. Das Kino wird zum Reisemedium. Bergman experimentiert mit Gesichtern und Identität im Breitbildformat.

Steadicam

Ein Name der trügerisch ist. Überall Bewegung, Umkreisung, Umwandelung. Gänge. Lange Gänge. Figuren reden und das Auge des Publikums schwankt gleitend in alle Richtungen. Der Dialog kann jetzt umrundet werden. Die Achsenlinien werden umfahren. Visuelle Unkultur schleicht sich ein. Das Licht wird dementsprechend flächig und sanft. Schwarz Weiß nur mehr für elitäre Spinner. Goodbye Filmsprache, Auflösung, Publikumskonzentration.

Spezialeffekte

Jediritter, Hobbits und Harry Potter. Forrest Gump läuft durch ein nicht vorhandenes Fussballstadion. Kino macht Sensationen. Endlich!!! Dolby “Bumm-Bumm”Surround. Bumm von hinten, Zack von der Seite und Kabumm aus der Mitte. Dinosaurier beherrschen die Erde. Pixelzählerei. 3-D gerenderte Naivität reißt das kommerzielle Kino noch einmal vom Sterbebett. Filmkunst rutscht aus Protest vom Poetischen ins Politische und bleibt dort. Das desinteressierte Publikum verblödet indes. Filmsprache wird nicht mehr verstanden. Bresson stirbt mit nahezu 100 Jahren.

Video

Jeder filmt aber kaum einer kanns. Hollywoods Elite rümpft die Nase. Fernsehjournalismus wird mit Kino verwechselt. Amateurfilmer imitieren schlechte Kinofilme schlecht. Videoinstallationen. Klägliche Versuche einer unabhängigen Kunstform. Ein Bauer hackt Holz in lebensgroßer Pixelpracht. Video geht ins Museum -> 35 mm gehört bald dort hin. Vermeintliche Freiheit führt zur allgemeinen Visionslosigkeit. Filmsprache wird von Web 2.0 endgültig ermordet. Anything goes im Kino und im Fernsehen.

Video on Demand

Trägermedien verschwinden langsam. Opern werden weltweit ins Kino gestreamt. Studenten im Kino unterrichtet. Kinosterben. Kino geht in den Supermarkt und bleibt dort. Vermainstreamisierung der Programmkinos. Filmkunst wird weder verstanden noch vermittelt. Aufmerksamkeitsspanne wird nach Marktbedürfnissen ausgerichtet. Filme am Handy. “320 x 240" wird auf einmal totschick. Der Flatscreen wird zum Kaminfeuer neobiedermeierlicher Lebensfreude.

Neuer Realismus — eine Trendumkehr?

Amerika wird jetzt wirklich. Früher galt es eine Jungfrau zu retten… heute klagt man im Kino einen Pharmakonzern. Inspiriert vom Schnappschuss Service Instagram, dreht man ohne Make-Up und gibt sich europäisch, lässig und echt. Wintersbone und Ballast sind solche Filme. Amerika wächst daran. Europa bleibt einstweilen wie es ist: Unentschlossen zwischen Kunst und Kommerz. In Afrika wächst eine große Filmwirtschaft heran. Die Leiter der filmwirtschaftlichen Evolution geht einstweilen von Hollywood über Bollywood nach Nollywood — Nigeria. Hollywoodstars suchen Arbeit… in China. Indes findet Steven Spielberg fast keinen Vertrieb für seinen Lincoln Film.

Dienstag, 25. August 2015

Zwischen den Zeilen ist noch Luft

und dort atmet das Publikum

Glaubt man einer deutschen Philosophin und ihrem Buch "nichts", so ist zwischen den Menschen immer ein gewisser Anteil an "nichts" vorhanden, denn wäre jeder Beziehungsraum voll mit dem was man selber ist, so gäbe es keine Beziehung. Einfach gesagt: Wo du bist, kann ich nicht sein und das ist auch gut so. Ich muss weglassen, damit etwas sein kann. Das Weggelassene ist dann das Nichts dazwischen, so wie bei einem Holzschnitt. Man lässt frei und der Freiraum ist die eigentliche Gestaltung, die Leerstelle, das Nichts. Ohne dem Nichts zwischen uns, gäbe es keine Beziehung, weil wäre der andere alles was man selber ist, gäbe es den anderen gar nicht.

Umgedacht auf jedwede Dramaturgie, muss man immer wieder Raum fürs Nichts schaffen, denn dort kann das Publikum atmen. Sind meine Gedanken über präsent, lasse ich keinen Raum zum Denken mehr übrig. Das Gedachte wirkt dann so, als wäre es das einzig Denkbare überhaupt und man fängt erst gar nicht mehr zu denken an. Hollywoodfilme folgen diesem Muster weil sie häufig gar nicht erst möchten, dass Raum für Verwirrung oder Ambivalenz entsteht. Ambivalenz ist aber notwendig für den Denkvorgang. Ich sitze zwischen den Stühlen. Ich habe mich noch nicht entschieden.

Die klassische Dramaturgie hat oft Angst, dass die Leute beim eigenen Denken hängen bleiben und den Anschlusszug in die nächste Szene verpassen könnten. Die Angst ist berechtigt, aber eine Frage der Architektur. Ein Gebäude ohne Belüftung funktioniert nun einmal nicht. Die Luftschächte plant man von Anfang an ein, man kann nicht beim fertigen Bau einfach die Mauern wieder einreißen, weil man darauf vergessen hat, dass es Leute gibt, die atmen möchten.

Wenn wir das Nichts als Undefiniertes oder zu Definierendes bezeichnen, dann brauchen gute Filme diese Elemente, damit gute Zuseher, gute Filme schätzen lernen können. Eine vorgekaute Emotion ist eben schlechter als eine erlebte und ein eigener Gedanke oft wertvoller - weil er sich selbst durch den Denkvorgang erworben hat. Das sei auch dem sozialkritischen Arthouse Film ins Stammbuch geschrieben. Jener ist auch heute noch häufig zu didaktisch und vermag es nicht mehr Gedanken jenseits seiner Grundstruktur gelten zu lassen.

Einen faszinierender Radiobeitrag dazu lieferte das Philosophische Radio des WDR. Er hat mich in meiner Sicht weise bestärkt und inspiriert.

Bedeutsam? - das Nichts (Sendung vom 21.08.2015)

Studiogast: Ute Guzzoni, Philosophin; Moderation: Jürgen Wiebicke © WDR 2015

Sonntag, 16. August 2015

Das Los des Furchtbaren

Manchmal schreibt man als Autor auch über Figuren, die man selbst eher in den Bereich, "menschlicher Abschaum" einreihen würde, wäre nicht diese Wortkombination alleine schon menschenverachtend.

Nach so einer durchgeschriebenen Nacht, mutet einem dann der Alltag plötzlich ganz seltsam an. Alles fühlt sich fremdartig an, man ist unruhig, appetitlos und fragt sich ständig ob man denn überhaupt geschlafen hat. Außerdem hat man eine große Wut gegen sich selbst, weil man einerseits so ein Monster geschaffen hat und andererseits an ihm noch schleifen möchte, damit es in seiner Abartigkeit auch noch glänzen möge.

Das erinnert mich auffällig an eine Begebenheit aus Hurenkarussell, wo ich zum Darsteller des pädophilen Grafen, Walter Ludwig sagte:

"Du bist furchtbar."

Seine Antwort war:

"Ich weiß. Aber ich spiele es nur. DU hast es geschrieben!"

Freitag, 14. August 2015

Was wir von Kapitän Ahab lernen können

Wie so oft, geht es beim Schreiben des Drehbuchs wieder einmal viel mehr darum, wo etwas stehen soll und nicht, dass etwas stehen soll. Dass irgendwo etwas stehen soll, ist eh klar, weil ich meinen Darstellern ja keine weißen Blätter hinhalten kann. Aber das WO ist oft viel wichtiger, als das WAS. Ich denke nur an Moby Dick von Herman Melville. Dass die Pequod (der Walfänger - das Schiff) einen Kapitän haben wird, wird wohl auch der einfältigsten Landratte unter den Lesern klar sein, aber was macht Melville? Er zeigt ihn nicht. Stattdessen führt er nur sein Holzbein (weiß nicht mehr genau woraus es bestand) in die Handlung ein, das zur späten Stunde ruhelos über den Kojen der Matrosen am Deck auf und ab geht. Der Held hört es nur und seine Phantasie, seine Vorstellungswelt wird die unsere. Was für ein Unterschied wäre es da, hätte Melville nur geschrieben: Kapitän Ahab ist ein hochaufgeschossener Mann in dunkler Quäker Kleidung der, so fällt es einem zumindest bei näherer Betrachtung auf, statt dem linken Fuß eine Prothese trägt. Der Zauber wäre verflogen und das Pulver verschossen. Eine Gefahr birgt diese dramaturgische Trickserei allerdings: Man hat nämlich nicht ewig Zeit. Irgendwann wird der Zuschauer ungeduldig und spätestens dann verwandelt sich die Magie in billigen Budenzauber. So ist, um beim Beispiel zu bleiben, EINE Nacht okay, aber spätestens in den nächsten Seiten muss der Verborgene eingeführt werden, sonst macht das Lesen bzw. das Sehen keine Freude mehr.