Donnerstag, 1. Oktober 2015

Die Bilderwelten eines kleinen Jungen

(Der Originaltext erschien auf meinem vormaligen Blog, dessen Service in Kürze eingestellt werden wird. Ich dachte, dieser Eintrag sollte für die Nachwelt erhalten bleiben.)

Du bist nur zu den Begräbnissen gekommen, Stella

Vor vielen Jahren hatte das junge SAT1 noch kein Geld für zeitgenössische Filme übrig und spielte immer Freitags mit großer Ankündigung den sogenannten FilmFilm der Woche. Irgendwann in den frühen 90igern lief dort eine Tennessee Williams Verfilmung mit dem Titel "Endstation Sehnsucht". Die wirkliche Handlung hab ich erst Jahre später verstanden, aber die Atmosphäre der schwarz/weißen Bilder hat mich ein Leben lang geprägt. Die dunklen Straßen mit den leuchtenden Reklameschildern, der schwüle Soundtrack von Alex North und schließlich jene Dame, die aus dem Dampf einer alten Lokomotive auftauchte und einen jungen Mann nach dem Weg fragte.

Wenn mich heute jemand fragt, wie ich zum Filmemachen gekommen bin, dann erzähle ich gerne aus der jeweiligen Tageslaune heraus irgend eine Lüge. In Wahrheit hat mich Vivien Leigh mit dreizehn Jahren als Blanche Dubois so beeindruckt, dass ich monatelang jeden Tag nur Endstation Sehnsucht gesehen habe. Ich kam von der Schule heim, hab den Videorecorder eingeschaltet und mir den Film angesehen. Meine Besessenheit ging so weit, dass ich auch heute noch ganze Dialogpassagen auswendig kann. Ich könnte auf Anhieb jede Einstellung in diesem Film Revue passieren lassen. Ich war so besessen von diesen Bildern, dass ich sogar mehrere Einstellungen mit Vivien Leigh abgezeichnet habe. Es liegt heute noch ein Portrait von ihr in meiner Schublade. Woher meine Besessenheit rührt weiß ich auch nach vielen Jahren nicht ganz genau. Da war einerseits diese wunderbare und wirklich kongeniale Synchronstimme, die auf Anhieb jeden Ton richtig treffen konnte und andererseits eine Frau, in einer Rolle die irgendwie jenseitig war.

Die amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael schrieb über Vivien Leigh:

"One of the rare actresses who could truly evoke pitty and terror.

Da war auf einmal eine Andersartigkeit im Film, die ich sonst noch nie erlebt hatte. Wenn das Film ist, wenn das Kunst ist, dann möchte ich das machen. Nur leider war ich keine Schauspielerin, also hab ich eben mit dem Zeichnen angefangen um zumindest ein Stück von diesem Wesen einfangen zu können. Die stärkste Szene war wohl, als die Mexikanerin mit dem Kranz aufgetaucht ist: Flowers, flowers for the dead. Viv hat die Tür geschlossen und dabei gesagt: No, not now, not now...

Ich sehe sie heute noch vor mir. Überlebensgroß und tragisch: In diesen schwarz/weißen Augen hat sich ein ganzes Universum gespiegelt.

Heute, 15 Jahre später sitzt sie immer noch manchmal an meiner Schulter und flüstert mir zu: Es ist nicht genug. Du darfst niemals ruhen, musst alles geben und kompromisslos sein.

Ja, Viv. Ich gebe mir Mühe.

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