Dienstag, 25. August 2015

Zwischen den Zeilen ist noch Luft

und dort atmet das Publikum

Glaubt man einer deutschen Philosophin und ihrem Buch "nichts", so ist zwischen den Menschen immer ein gewisser Anteil an "nichts" vorhanden, denn wäre jeder Beziehungsraum voll mit dem was man selber ist, so gäbe es keine Beziehung. Einfach gesagt: Wo du bist, kann ich nicht sein und das ist auch gut so. Ich muss weglassen, damit etwas sein kann. Das Weggelassene ist dann das Nichts dazwischen, so wie bei einem Holzschnitt. Man lässt frei und der Freiraum ist die eigentliche Gestaltung, die Leerstelle, das Nichts. Ohne dem Nichts zwischen uns, gäbe es keine Beziehung, weil wäre der andere alles was man selber ist, gäbe es den anderen gar nicht.

Umgedacht auf jedwede Dramaturgie, muss man immer wieder Raum fürs Nichts schaffen, denn dort kann das Publikum atmen. Sind meine Gedanken über präsent, lasse ich keinen Raum zum Denken mehr übrig. Das Gedachte wirkt dann so, als wäre es das einzig Denkbare überhaupt und man fängt erst gar nicht mehr zu denken an. Hollywoodfilme folgen diesem Muster weil sie häufig gar nicht erst möchten, dass Raum für Verwirrung oder Ambivalenz entsteht. Ambivalenz ist aber notwendig für den Denkvorgang. Ich sitze zwischen den Stühlen. Ich habe mich noch nicht entschieden.

Die klassische Dramaturgie hat oft Angst, dass die Leute beim eigenen Denken hängen bleiben und den Anschlusszug in die nächste Szene verpassen könnten. Die Angst ist berechtigt, aber eine Frage der Architektur. Ein Gebäude ohne Belüftung funktioniert nun einmal nicht. Die Luftschächte plant man von Anfang an ein, man kann nicht beim fertigen Bau einfach die Mauern wieder einreißen, weil man darauf vergessen hat, dass es Leute gibt, die atmen möchten.

Wenn wir das Nichts als Undefiniertes oder zu Definierendes bezeichnen, dann brauchen gute Filme diese Elemente, damit gute Zuseher, gute Filme schätzen lernen können. Eine vorgekaute Emotion ist eben schlechter als eine erlebte und ein eigener Gedanke oft wertvoller - weil er sich selbst durch den Denkvorgang erworben hat. Das sei auch dem sozialkritischen Arthouse Film ins Stammbuch geschrieben. Jener ist auch heute noch häufig zu didaktisch und vermag es nicht mehr Gedanken jenseits seiner Grundstruktur gelten zu lassen.

Einen faszinierender Radiobeitrag dazu lieferte das Philosophische Radio des WDR. Er hat mich in meiner Sicht weise bestärkt und inspiriert.

Bedeutsam? - das Nichts (Sendung vom 21.08.2015)

Studiogast: Ute Guzzoni, Philosophin; Moderation: Jürgen Wiebicke © WDR 2015

Sonntag, 16. August 2015

Das Los des Furchtbaren

Manchmal schreibt man als Autor auch über Figuren, die man selbst eher in den Bereich, "menschlicher Abschaum" einreihen würde, wäre nicht diese Wortkombination alleine schon menschenverachtend.

Nach so einer durchgeschriebenen Nacht, mutet einem dann der Alltag plötzlich ganz seltsam an. Alles fühlt sich fremdartig an, man ist unruhig, appetitlos und fragt sich ständig ob man denn überhaupt geschlafen hat. Außerdem hat man eine große Wut gegen sich selbst, weil man einerseits so ein Monster geschaffen hat und andererseits an ihm noch schleifen möchte, damit es in seiner Abartigkeit auch noch glänzen möge.

Das erinnert mich auffällig an eine Begebenheit aus Hurenkarussell, wo ich zum Darsteller des pädophilen Grafen, Walter Ludwig sagte:

"Du bist furchtbar."

Seine Antwort war:

"Ich weiß. Aber ich spiele es nur. DU hast es geschrieben!"

Freitag, 14. August 2015

Was wir von Kapitän Ahab lernen können

Wie so oft, geht es beim Schreiben des Drehbuchs wieder einmal viel mehr darum, wo etwas stehen soll und nicht, dass etwas stehen soll. Dass irgendwo etwas stehen soll, ist eh klar, weil ich meinen Darstellern ja keine weißen Blätter hinhalten kann. Aber das WO ist oft viel wichtiger, als das WAS. Ich denke nur an Moby Dick von Herman Melville. Dass die Pequod (der Walfänger - das Schiff) einen Kapitän haben wird, wird wohl auch der einfältigsten Landratte unter den Lesern klar sein, aber was macht Melville? Er zeigt ihn nicht. Stattdessen führt er nur sein Holzbein (weiß nicht mehr genau woraus es bestand) in die Handlung ein, das zur späten Stunde ruhelos über den Kojen der Matrosen am Deck auf und ab geht. Der Held hört es nur und seine Phantasie, seine Vorstellungswelt wird die unsere. Was für ein Unterschied wäre es da, hätte Melville nur geschrieben: Kapitän Ahab ist ein hochaufgeschossener Mann in dunkler Quäker Kleidung der, so fällt es einem zumindest bei näherer Betrachtung auf, statt dem linken Fuß eine Prothese trägt. Der Zauber wäre verflogen und das Pulver verschossen. Eine Gefahr birgt diese dramaturgische Trickserei allerdings: Man hat nämlich nicht ewig Zeit. Irgendwann wird der Zuschauer ungeduldig und spätestens dann verwandelt sich die Magie in billigen Budenzauber. So ist, um beim Beispiel zu bleiben, EINE Nacht okay, aber spätestens in den nächsten Seiten muss der Verborgene eingeführt werden, sonst macht das Lesen bzw. das Sehen keine Freude mehr.