Freitag, 24. Juli 2015

CARAVAGGIO - ein Regisseur ohne Kamera

Ein Filmemacher betrachtet die Inszenierung eines großen Meisters.

 
Betrachtet man das Werk von Caravaggio näher und subtrahiert dabei vom rein Formalen die Farbe und die Beleuchtung und konzentriert sich auf Stellung und Ausdruck der Figuren, so offenbart sich einem eine höchst moderne und stark realistische Inszenierung, die streckenweise sogar an die Glanzlichter des modernen Kinos zu erinnern vermag. Im Folgenden möchte ich den Versuch wagen, erst den Plot und später dann die Inszenierung zu analysieren. Die Handlung ist eine klassische Szene, die vielen noch aus dem Religionsunterricht bekannt sein dürfte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
 
Natürlich geht es hier um Petrus, der Jesus verrät, aber was genau steht davon in der Bibel? Was war die Vorgabe? Der Plot? Die “literarische” Vorlage?
 
Petrus aber saß draußen im Hof. Und eine Magd trat zu ihm und sprach: Auch du warst mit Jesus, dem Galiläer! Er aber leugnete vor allen und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst! Als er dann in den Vorhof hinausging, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die dort waren: Dieser war mit Jesus, dem Nazarener! Und er leugnete abermals mit einem Schwur: Ich kenne den Menschen nicht! Bald darauf aber traten die Umstehenden herzu und sagten zu Petrus: Wahrhaftig, du bist auch einer von ihnen; denn auch deine Sprache verrät dich. Da fing er an zu fluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht! Und alsbald krähte der Hahn. Und Petrus ward eingedenk des Wortes Jesu, der zu ihm gesagt hatte: ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.

 
Caravaggio - Picture is in public Domain
 
Die Szene selbst, wie Caravaggio sie gemalt hat, ist auf den ersten Blick recht unspektakulär, wenn man betrachtet was noch möglich gewesen wäre:

Der enttarnte Jünger wird mit seiner wahren Identität konfrontiert, es scharen sich Massen um ihn. Jemand ruft: “Da! Das ist auch einer von ihnen!” Ein Heiliger umringt von einer tobenden Menge. Eine Totale mit Lokalkolorit und ausgestreckten Zeigefingern. Das wäre natürlich plakativ und an der Kernaussage des Verrats vorbei inszeniert gewesen. Vor allem die deutenden Hände wären ein Klischee, aber gut:
 
Ganz ohne Zeigegesten kommt Caravaggio dann auch nicht aus, denn auch bei ihm erzählen die Finger die Geschichte, aber erinnern wir uns kurz einmal daran, dass Caravaggio für die gesamte Geschichte nur ein Bild, ein Kader, ein Frame zur Verfügung hatte. Irgendwie musste er die Handlung ja an sein Publikum verkaufen können.
 
Seine Inszenierung beeindruckt vor allem durch das Festhalten des Momentanen, nicht als didaktisches Sinnbild eines Verrats sondern als Verrat im Augenblick. Es ist, als würde er sagen wollen: So hat das ausgesehen! Genauso. Hier werfe ich euch diese bestimmte Sekunde vor die Augen!

Was für ein Jahrhundertschnappschuss ist ihm da gelungen und alle sind sie perfekt in ihrer Rolle! Petrus, der beide Hände zu sich dreht, als wolle er damit sagen: “Wer ich? Ich doch nicht! Im Leben nicht!” Die Magd, die noch nicht ganz ihren Gedanken fertig gedacht hat, als sie auf Petrus zeigt, aber das Glitzern ihrer Augen verrät schon ihre Authentizität. Ihre Augen sagen: Ich lebe, ich bin wahr, ich habe gesehen, ich sage die Wahrheit. Sie ist die Einzige im Bild, die Augenlicht hat. Der Offizier selbst, im Halbdunkel eher unwichtig gehalten, fasst Petrus investigativ ins Auge und es scheint als wäre es seine Anschuldigung, die Petrus zu seiner Lüge veranlasst, denn noch hält er den Mund offen, aber das Gesagte, ist noch nicht gesagt, der Verrat ist noch nicht ausgesprochen. Er würde in der nächsten Sekunde erfolgen.
 
Kompositorisch stehen sie alle auf einer Linie. Ein Balken umrahmt das Bild nach oben hin. Negative space ist kaum vorhanden. Die Lichtführung lässt die Augen der Magd deutlich erscheinen, was auch den Zweck hat, sie als Augenzeugin ins Geschehen zu verwickeln. Sie ist es, die gesehen hat, dass Petrus im Umkreis von Jesus steht. Sie ist in Caravaggios Inszenierung die Erste. Von ihr geht die Wahrheit aus.
 
 
 
Gerade eben diese Magd spielt ihre Rolle spektakulär gut. Die halb offenen Lippen, der kritische Blick, der ein leichtes Zweifeln an der eigenen Handlung andeuten könnte — denn sie schaut auf die Konsequenz ihrer Aussage und das ist in diesem Fall der Polizist, der Offizier oder nennen wir ihn den herbeigeeilten Exekutivbeamten. Eine große Besonderheit liegt außerdem noch in der Dichte dieser Figurenkonstellation. Sie berühren einander fast.
 
 
Die Augen des Beamten haben scharfe Wimpern, die spitz nach vorne zu Petrus jagen. Fast scheint es, als würde der Wachmann den späteren Heiligen mit seinen Wimpern aufspießen können.
 
Petrus ist fest am rechten Rand fixiert. Dort wo er ist, kann er sich nicht rühren. Bemerkenswerterweise hält er dem Beamten nicht stand. Es wirkt, als würde sein Blick nach unten wegschlüpfen. Sein Gesicht ist gequält. Vielleicht wollte Caravaggio mit ihm sagen: Das ist der Blick eines Mannes, der innerlich mit seiner Vorsehung ringt. Jedenfalls spielt dieser Petrus keinen kalten, unbeherzten Lügner, sondern einen leidenden Menschen. Das ist nicht der Blick eines Mannes, der beim Spielen geschummelt oder beim Wirt die Rechnung nicht bezahlt hat und sich jetzt herausreden möchte. Das ist ein besonderes, ein definiertes Antlitz.
 
Die Akteure wissen in diesem Bild um ihre Rolle ganz genau Bescheid. Sie spielen zueinander und hätte das Gemälde die Möglichkeit Dialog von sich zu geben, so würde man Stimmen erleben, die gedämpft wären, die der unaufdringlichen Ruhe der gesamten Szenerie würdig gewesen wären.
Weder die Magd noch der Offizier noch Petrus selbst haben die Stimme laut erhoben. Sie stehen in einem Hinterhof vor Sonnenaufgang. Wobei der Hinterhof eigentlich nicht sichtbar ist — sondern nur dieser übergroße Balken, der möglicherweise prophetisch das Künftige vorwegnehmen soll, die Kreuzigung von Jesus.
 
Obwohl nichts in diesem Gemälde zufällig ist, schafft es Caravaggio das Geschehen so darzustellen, als würde es jetzt sofort und im Augenblick geschehen. Man findet in diesem Bild nichts Didaktisches, Akademisches oder Idealisiertes. Das Drama entwickelt sich von den Gedanken der Figuren ins Bildhafte hinaus. Es ist seltsam innerlich und doch in seiner Grundaussage klar. Es braucht nichts und hat dennoch alles. Es verzichtet auf Spektakel und vertraut auf die Wesensmerkmale von Figuren und Handlung.