Donnerstag, 10. September 2015

Filmkunst von Lumiere bis heute

Filmkunst von Lumiere bis heute - (Fehl)entwicklungen ?

Die beiden Gesichter der Filmkunst

Lumiere, Gott des Seins und Méliès, Gott des Scheins. Arbeiter verlassen die Fabrik kontra Szenen am Mond. Das Fotografische und das Zauberhafte. Griffith und der politische Film. Bilder, die Massen bewegen. Nicht nur zum Guten. Die Macht des Kinos austesten. Farbexperimente mit Tinte, die ersten 70 mm Aufnahmen. Varieté und Kunst. Japaner stehen hinter der Leinwand und sprechen Dialoge mit. Filme werden selbstbewusst, haben aber dennoch “Akte”. Abel Gance macht Splitscreen. Stroheim erfindet das moderne Kino, Sjöström den modernen Filmschauspieler.

Filmmontage Regeln

Standardisierung des visuellen Ausdrucks. Achsendogma, Eyeline Shot, Einstellungshygiene. Prinzipienfreiheit zugunsten breiter Publikumsschichten. Ein Film hat so auszusehen und nicht anders. Eisenstein kommt und stellt die Filmwelt auf den Kopf. Intellektuelle Montage, parallelisierende Montage. Montage, Montage Montage -> auch Dienstags und Mittwochs. Die Bilder werden musikalisch. Der Kontrast tanzt. Liebende laufen in Moskau los und küssen sich in London. Kuleschov und das hungernde Baby. Flaherty lässt seine Kamera von einem Inuit reparieren.

Tonfilm

Die Öffnung des Visuellen hin zum Theatralischen. Schauspieler die überdeutlich in Blumenvasen sprechen. Sprachtrainer für Stummfilmstars. Alkoholismus, Selbstmord, vollständiger Rückzug lispelnder, sprechunbegabter Schauspieler. Mimenlosigkeit. Das Piano wird aus dem Kino geschoben. Theatralischer Professionalismus. “Schauspielerhandwerk kann man nur im Theater erlernen.” — und ähnlicher Schwachsinn. “Singsang”, Musical, Operette, Shakespeare. Geburt der Plansequenz, Siegeszug des Shot- Reverse Shot Systems. Unterordnung des Bildes. Machtfaktor “Dialog”. Jedes Hollywoodstudio entwickelt eine eigene Dialogdramaturgie. Warner Brothers fasst sich kurz, hart, prägnant und zynisch. Fritz Lang lässt Mütter rufen und Luftballons an Leitungsmasten segeln. Peer Gynt und Peter Lorre. Der Versuch einer audiovisuellen Liebesheirat. Ein “M” aus Kreidestrichen. Ansonsten wenig ernst zu nehmende Tonversuche. Einteilung des Films in Form (Bilder) und Inhalt (Dialog). Daraus hervor gehen entsprechend schlechte Filme und jede Menge neuer Dogmen.

Farbfilm

Erst eine, dann zwei, dann vier Farben. 4Farbentechnicolor. Scarlett schmachtet in Rot. Maske und Licht ändern sich. Sahara Hitze im Studio. Sattes grün, sattes rot. Farbe macht das Bild linienlos. Die Fläche gewinnt Oberhand. Die Schärfe wird langsam flach. Die Einstellungen werden bunt und uninteressant. Kaum künstlerische Farbverwendung. Moulin Rouge von Huston kommt und beeindruckt mit “gedünsteten” Farben. Mizoguchi dreht sein farbiges Meisterwerk: “Shin heike mongetari”. S/W wandert in den Noir Bereich. Lauren Bacall pustet Rauch. Johnny Guitar ein Farbfilm in Schwarz/Weiß. Die Kameramänner müssen erst lernen. Menzies malt Hintergründe auf Glas. Hitchcock malt moderne Kinobilder.

Breitbild

Naiver Angriff aufs boomende Fernsehen. Das Bild hat seine Mitte verloren. Die Achsen werden immer wichtiger. Das menschliche Gesicht wird vom Hintergrund bedrängt. Die klassische Großaufnahme geht sterben. Minenspiel wird geopfert. Bye, bye Mikrophysiognomie. Überall Art Direction. Je breiter desto mehr Ausstattung. Schauspieler werden zunehmend bedeutungsloser. Das Visuelle verdrängt das Emotionale. Man kann das Pinupgirl jetzt längsseitig abbilden. Sein Gesicht kann die Leinwand dagegen nie wieder formgemäß füllen. Landschaft ja, hohe Gebäude nein. Oben und Untenstandpunkte werden schwieriger. Höhenverhältnisse können nicht mehr richtig abgebildet werden. Bei verkanteter Kamera wird man seekrank. Wagenrennen, weite Länder. Sandalen hier Soldatenstiefel dort. Das russische Kino komponiert meisterhaft breit. Peter O’Toole zündet ein Streichholz an und Millionen jubeln. Das Kino wird zum Reisemedium. Bergman experimentiert mit Gesichtern und Identität im Breitbildformat.

Steadicam

Ein Name der trügerisch ist. Überall Bewegung, Umkreisung, Umwandelung. Gänge. Lange Gänge. Figuren reden und das Auge des Publikums schwankt gleitend in alle Richtungen. Der Dialog kann jetzt umrundet werden. Die Achsenlinien werden umfahren. Visuelle Unkultur schleicht sich ein. Das Licht wird dementsprechend flächig und sanft. Schwarz Weiß nur mehr für elitäre Spinner. Goodbye Filmsprache, Auflösung, Publikumskonzentration.

Spezialeffekte

Jediritter, Hobbits und Harry Potter. Forrest Gump läuft durch ein nicht vorhandenes Fussballstadion. Kino macht Sensationen. Endlich!!! Dolby “Bumm-Bumm”Surround. Bumm von hinten, Zack von der Seite und Kabumm aus der Mitte. Dinosaurier beherrschen die Erde. Pixelzählerei. 3-D gerenderte Naivität reißt das kommerzielle Kino noch einmal vom Sterbebett. Filmkunst rutscht aus Protest vom Poetischen ins Politische und bleibt dort. Das desinteressierte Publikum verblödet indes. Filmsprache wird nicht mehr verstanden. Bresson stirbt mit nahezu 100 Jahren.

Video

Jeder filmt aber kaum einer kanns. Hollywoods Elite rümpft die Nase. Fernsehjournalismus wird mit Kino verwechselt. Amateurfilmer imitieren schlechte Kinofilme schlecht. Videoinstallationen. Klägliche Versuche einer unabhängigen Kunstform. Ein Bauer hackt Holz in lebensgroßer Pixelpracht. Video geht ins Museum -> 35 mm gehört bald dort hin. Vermeintliche Freiheit führt zur allgemeinen Visionslosigkeit. Filmsprache wird von Web 2.0 endgültig ermordet. Anything goes im Kino und im Fernsehen.

Video on Demand

Trägermedien verschwinden langsam. Opern werden weltweit ins Kino gestreamt. Studenten im Kino unterrichtet. Kinosterben. Kino geht in den Supermarkt und bleibt dort. Vermainstreamisierung der Programmkinos. Filmkunst wird weder verstanden noch vermittelt. Aufmerksamkeitsspanne wird nach Marktbedürfnissen ausgerichtet. Filme am Handy. “320 x 240" wird auf einmal totschick. Der Flatscreen wird zum Kaminfeuer neobiedermeierlicher Lebensfreude.

Neuer Realismus — eine Trendumkehr?

Amerika wird jetzt wirklich. Früher galt es eine Jungfrau zu retten… heute klagt man im Kino einen Pharmakonzern. Inspiriert vom Schnappschuss Service Instagram, dreht man ohne Make-Up und gibt sich europäisch, lässig und echt. Wintersbone und Ballast sind solche Filme. Amerika wächst daran. Europa bleibt einstweilen wie es ist: Unentschlossen zwischen Kunst und Kommerz. In Afrika wächst eine große Filmwirtschaft heran. Die Leiter der filmwirtschaftlichen Evolution geht einstweilen von Hollywood über Bollywood nach Nollywood — Nigeria. Hollywoodstars suchen Arbeit… in China. Indes findet Steven Spielberg fast keinen Vertrieb für seinen Lincoln Film.

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